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Warum finden wir Zerstörungen so faszinierend? Wenn wir eine schreckliche Tragödie sehen, danken wir unserem Glück oder unserem Geschick, dass wir selbst ihr entronnen sind? Oder wurzelt unsere Faszination im Nervenkitzel und der Angst, weil wir wissen, dass wir die Nächsten sein könnten?
Mutter Oberin Odrade,
Dokumentation der Konsequenzen
Murbella und Janess – Mutter und Tochter, Mutter Befehlshaberin und Oberster Bashar – befanden sich im Orbit um die tote Welt Richese. Sie waren mit einem Beobachtungsschiff unterwegs, isoliert von den Ingenieuren, die sich immer noch wegen der Seuche auf Ordensburg Sorgen machten. Obwohl die Epidemie vorbei war, weigerten sich die Ixianer nach wie vor, sich im gleichen Raum wie Murbella und Janess aufzuhalten, die den Viren ausgesetzt gewesen waren.
Trotzdem konnten die beiden Frauen allein in ihrem eigenen Schiff den Ablauf des Tests sehr gut verfolgen.
Vor über fünf Jahren hatten Schiffe rebellischer Geehrter Matres von Tleilax diese Welt bombardiert und nicht nur die gesamte Bevölkerung von Richese eliminiert, sondern auch die Waffenindustrie und die zur Hälfte fertig gestellte Kriegsflotte, die an die Neue Schwesternschaft ausgeliefert werden sollte. Nachdem es auf dem Planeten nun kein Leben mehr gab, war er für die Ixianer der ideale Ort, um ihre neuen Auslöscher zu testen.
Murbella öffnete die Komverbindung und sprach zu den vier Testschiffen in ihrer Nähe. »Diese Sache bereitet Ihnen ein heimliches Vergnügen, nicht wahr, Fabrikationsleiter?«
Auf dem Bildschirm zog Shayama Sen die Augenbrauen hoch und reagierte empört über diese Unterstellung. »Wir testen nur die Waffen, die Sie bei uns bestellt haben, Mutter Befehlshaberin. Sie waren nicht bereit, uns beim Wort zu nehmen, sondern haben eine Demonstration verlangt. Wir müssen beweisen, dass unsere technischen Produkte gemäß der Vorgaben funktionieren.«
»Und die Konkurrenz zwischen Ix und Richese hat nichts mit Ihrer Entscheidung für dieses Ziel zu tun?« Sie konnte ihren Sarkasmus nicht zügeln.
»Richese ist nur noch eine historische Fußnote, Mutter Befehlshaberin. Jegliches Vergnügen, das Ixianer angesichts des bedauernswerten Schicksals unserer Rivalen empfunden haben könnten, hat sich längst verflüchtigt.« Nach einer kurzen Pause fügte Sen hinzu. »Wir geben jedoch zu, dass wir uns der Ironie durchaus bewusst sind.«
Seit er sie das letzte Mal im Orbit über Ordensburg besucht hatte, schien sich die Stimme des Fabrikationsleiters ein wenig verändert zu haben. Als Sen vor kurzem zurückgekehrt war, um die vollständigen Berichte über ihre Tests auf Ix abzuliefern, hatte er überrascht gewirkt, vielleicht sogar etwas verlegen. Er hatte ihren Ratschlag befolgt und alle seine Leute dem Zelltest unterzogen, worauf man zweiunddreißig Gestaltwandler enttarnt hatte, die ausnahmslos in wichtigen Bereichen gearbeitet hatten.
Murbella hätte sie gerne befragt, vielleicht sogar eine ixianische T-Sonde eingesetzt. Aber die Gestaltwandler, die nicht auf der Stelle getötet worden waren, hatten sich das Leben genommen, indem sie eine Art automatischen Suizidmechanismus in ihren Gehirnen aktiviert hatten. Sie ärgerte sich über die verpasste Gelegenheit, aber letztlich bezweifelte sie, dass die Schwestern etwas von den Gestaltwandlern erfahren hätten. Trotzdem war sie froh, dass sie acht vertrauenswürdige Inspektorinnen nach Ix geschickt hatte, damit sie von nun an die Arbeiten überwachten.
»Wir folgen einem straffen Zeitplan, Mutter Befehlshaberin, wie Sie verlangt haben«, übermittelte Sen. »Wir rüsten die Schiffe von Junction so schnell wie irgend möglich aus. Wenn Sie den erfolgreichen Test dieser vier Auslöscher beobachtet haben, können Sie nicht mehr in Frage stellen, dass unsere Technik nicht einwandfrei funktioniert.«
»Im Grunde ist es eine Schande, diese Vernichtungsenergie auf ein Ziel zu verschwenden, das dem wahren Feind keinen Schmerz bereitet«, sagte Janess. »Aber wir brauchen einen Beweis.« Beide hatten Aufzeichnungen von früheren Tests gesehen, aber Filme ließen sich fälschen.
»Trotzdem will ich es mit eigenen Augen sehen«, sagte Murbella. »Dann werfen wir alles, was wir haben, gegen die anrückenden Maschinen in die Schlacht.«
»Wir bringen die Einheiten jetzt zum Einsatz«, meldete einer der ixianischen Piloten. »Bitte sehen Sie es sich an.«
Vier Lichtkugeln entfernten sich von den ixianischen Schiffen, und die glühenden Auslöscher rasten wie Feuerräder auf die Welt unter ihnen zu. Während des Sinkflugs vibrierten und dehnten sie sich aus und gaben Energiewellen ab, die jedoch nicht schwächer, sondern immer stärker wurden.
Die Atmosphäre von Richese war bereits versengt worden, als die Wälder und Städte bei der ersten Kettenreaktion dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Trotzdem fanden die von den Ixianern modifizierten Waffen genügend Brennstoff, um die Welt erneut in eine Feuersbrunst zu verwandeln.
Murbella beobachtete schweigend die ehrfurchtgebietende Schnelligkeit, mit der sich die Feuerwalzen ausbreiteten. Sie starrte darauf, ohne zu blinzeln, bis sich ihre Augen trocken anfühlten. Der Planet entflammte wie glühende Kohle in einer Brise. Risse bildeten sich in den Kontinenten, aus denen glühende Lava drang. Schließlich sprach sie zu ihrer Tochter, ohne sich darum zu bekümmern, dass die Ixianer über die offene Komverbindung mithören konnten. »Wenn wir eine solche Waffe mitten in einer Schlacht gegen die Flotte der Denkmaschinen einsetzen, werden wir unvorstellbare Verwüstungen anrichten.«
»Wir könnten tatsächlich noch eine Chance haben«, sagte Janess.
Shayama Sen mischte sich über die Lautsprecher ein. »Sie gehen davon aus, Mutter Befehlshaberin, dass die Denkmaschinen so dumm sind, mit ihren Schiffen im dichten Verband zu fliegen, sodass eine einzige Waffe genügt, sie zu vernichten.«
»Wir wissen sehr viel über den Schlachtplan des Feindes und den bisherigen Vormarsch der Flotte. Die Maschinen benutzen keine Faltraumtriebwerke, sondern rücken systematisch von einem Ziel zum nächsten vor, Schritt für Schritt. Die Denkmaschinen sind nur selten für Überraschungen gut.« Murbella sah ihre Tochter an und blickte dann wieder auf den brennenden Planeten, bevor sie den Ixianern neue Befehle erteilte. »Gut. Es besteht kein Grund, weitere Auslöscher zu verpulvern. Wenn wir sie schließlich den Maschinenschlachtschiffen entgegenschleudern, wird mir das als Demonstration genügen. Ich will mindestens zehn Auslöscher an Bord jedes neuen Kriegsschiffes haben. Keine weiteren Verzögerungen! Wir haben schon viel zu lange gewartet.«
»Ihr Auftrag wird erfüllt, Mutter Befehlshaberin«, sagte Sen.
Murbella kaute auf der Unterlippe, als sie beobachtete, wie Richese erneut in Flammen aufging. Es sah dem Fabrikationsleiter gar nicht ähnlich, dass er so kooperationsbereit war und keine zusätzlichen Zahlungen verlangte. Nachdem sie die Vernichtung zahlloser Welten beobachtet hatten, war den Ixianern vielleicht endlich klar geworden, wer ihr wahrer Feind war.